Landtag
Plenum

Meine Reden

Hier finden Sie alle meine Reden der aktuellen Legislaturperiode zum Nachschauen. Sollten Sie Fragen oder Anmerkungen haben kommen Sie gerne auf mich und mein Team zu. 

Meine Antwort auf den AfD-Antrag zum Thema Volksentscheide

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei dem, was Sie, Herr Moriße, gerade gesagt haben, fragt man sich ja schon, wie Sie sich eigentlich ein demokratisches Miteinander vorstellen. Sie haben gesagt, Sie wollen es ermöglichen, dass Bürgerinnen und Bürger einfach und direkt Einfluss auf Politik nehmen. Ich weiß ja nicht, was die AfD den lieben langen Tag macht. Aber zu mir können Bürgerinnen und Bürger täglich kommen. Mein Büro ist offen. Sie können mich per Mail oder mündlich erreichen, wir haben Parteiveranstaltungen. Sie können direkt Einfluss nehmen auf Politik.

Es ist aber nicht direkt und einfach, einen Volksentscheid durchzuführen. Denn wie Sie es gerade schon richtigerweise ausgeführt haben: Dafür müssen bestimmte Regeln eingehalten und Quoren erfüllt werden. Unter anderem geht es auch um die Frage, wie viele Unterstützungsunterschriften oder andere Dinge man erreichen muss. Das ist alles andere als direkt. Und es ändert nichts daran, ob Sie – und dazu gratulieren wir Ihnen ganz herzlich – diese Quoren einmal durch zwei teilen. Es ist immer noch ein Aufwand, den Bürgerinnen und Bürger betreiben müssen.

Und wir als demokratische Parteien stehen den Bürgerinnen und Bürgern allzeit bereit.

Es freut mich aber auch sehr, dass die AfD die übrigen Teile des Koalitionsvertrags von SPD und Grünen begrüßt und offensichtlich gar nicht abwarten kann, bis dieser von uns abgearbeitet ist. Denn in der Tat haben wir uns zum Ziel gesetzt, die Teilhabe an politischen Prozessen zu vereinfachen. Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag: „Wir wollen die Chancen direkter Demokratie im Land besser nutzen. Deshalb streben wir die Senkung der Hürden für Volksbegehren sowie für Volksentscheide an.“

Wie Sie wissen, müssen wir hierfür die Niedersächsische Verfassung ändern. Dem verschließen wir uns überhaupt nicht. Wir haben ja bereits mehrere Vorschläge zur Weiterentwicklung unserer Verfassung eingebracht, wie zum Beispiel mit der Entschließung zum queeren Leben im April dieses Jahres, in der wir die Landesregierung beauftragt haben, einen Vorschlag zur Verfassungsänderung zum Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung vorzulegen. Oder unser Antrag zur Ergänzung des Europabezuges in der Landesverfassung, der sich gerade in der Ausschussberatung befindet. Und am Mittwoch diskutieren wir hier alle zu unserem Entschließungsantrag „Kinderschutz an erster Stelle!“ die Verankerung von Beteiligungsrechten von Kindern in unserer Verfassung.

Was wir allerdings nicht mittragen, sind Änderungen an unserer Verfassung, ohne ihre Auswirkungen zu betrachten und damit qualitativ ungenügend zu arbeiten, so wie dies mit diesem AfD-Antrag der Fall ist. Denn zwei zentrale Sätze hat die AfD bezeichnenderweise aus unserem Koalitionsvertrag nicht übernommen. Sie stehen direkt im Anschluss an das vorhin vorgelesene Zitat. Sie lauten: „Volksentscheide müssen unter den gleichen Bedingungen wie allgemeine Wahlen durchgeführt werden. Die Finanzierung der jeweiligen Kampagne muss offengelegt werden.“

Gerade Letzteres ist verdammt wichtig, wenn man sich einmal die Historie der Volksbegehren in Niedersachsen anschaut. Zwar bemängelt der Verein „Mehr Demokratie e. V.“ zu Recht die hohen Hürden. Er gibt aber gleichzeitig zu bedenken: Oft öffneten Volksbegehren den Weg für politische Lösungen, sei es, weil mit der Landespolitik über Kompromisse verhandelt werden konnte, sei es, weil der Landtag die Forderung übernahm.

Schaut man sich nun gescheiterte Volksbegehren an, finden wir beispielsweise eine Initiative der rechtsextremen Partei Die Republikaner zur Euro-Umstellung, ein Volksbegehren zum Zuwanderungsgesetz, ein Begehren gegen die Rechtschreibreform und zwei Verfahren, die maßgeblich durch die FDP initiiert wurden. Es wird schnell klar, dass das Instrument der Volksinitiativen und -entscheide nicht nur einfach aus der Mitte der Bevölkerung kommen kann, sondern auch ein gezieltes politisches Instrument größerer Organisationen sein kann.

Deshalb sind die Fragen der Finanzierung, der Transparenz und die Verfahrensfragen von enormer Bedeutung. Als einziges Volksbegehren mit nennenswerter Unterstützung scheiterte die Initiative mit dem Titel „Für gute Schulen in Niedersachsen“ am hohen Quorum. Sie wäre aber im Übrigen auch an den von Ihnen benannten Quoren gescheitert. Alle anderen initiierten Verfahren wurden durch Übernahme oder Maßnahmen des Landtages überflüssig, oder es wurden jedenfalls mit den Initiatoren entsprechende Kompromisse ausgehandelt.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der AfD geht es nicht um die Weiterentwicklung unserer Demokratie. Das wissen wir alle.

Es geht ihr nicht um die Frage, wie wir mehr Perspektiven unserer diversen Gesellschaft in Entscheidungsprozesse integrieren können. Wäre dies der Fall, hätte sie sich mit den Prozessen von Bürgerbeteiligungsverfahren auseinandergesetzt. Fragen, wie Bürgerinnen und Bürger bei einem Volksentscheid neutral informiert werden können oder wie konkurrierende Gesetzgebungsverfahren, die eilig sind, mit laufenden Entscheidungen in Einklang zu bringen sind, interessieren sie offenkundig nicht. Nein, im Gegenteil: Sie will das Schweizer Modell auf Bundesebene – nur eben ohne Vorabprüfung und damit ohne Schutz für Minderheiten. Sie will Verfahren, in denen die Legitimität zweifelhaft ist und Transparenz nicht hergestellt werden muss. Sie ist eine Partei, die der Verfassungsschutz in Niedersachsen beobachtet und die mit diesem Antrag en passant die Hürden für Volksentscheide halbieren will, um Voraussetzungen – wie, dass mindestens 25 % der Wahlberechtigten an ihnen teilnehmen müssen – zu streichen.

Ein solch unüberlegtes Herumfummeln an unserer Verfassung lassen wir als aufrechte Demokraten nicht zu. Ja, wir wollen unsere Verfassung weiterentwickeln, gerade im Bereich der politischen Partizipation – aber nicht, um Verfassungsfeinden und lauten Minderheiten Werkzeuge in die Hand zu legen.

Vielen Dank.

Meine Rede zum Antrag "Ein Arbeitsmarkt für alle: Ausgleichsabgabe für mehr Inklusion in Betrieben nutzen"

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Jetzt kommen wir nach zwei Anträgen, die uns inhaltlich nicht viel weitergebracht haben, endlich wieder zu einem relevanten Thema. Warum relevant? 300.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter in unserem Bundesland sind schwerbehindert. Aber weniger als die Hälfte von ihnen sind erwerbstätig. Die Arbeitslosenquote behinderter Menschen ist doppelt so hoch wie beim Rest der Bevölkerung. Eurostat gibt für das Jahr 2020 an, dass 17,7 % der Menschen mit Behinderung im Alter zwischen 20 und 26 Jahren keine Arbeit haben – gegenüber 8,6 % der Menschen ohne Behinderung in derselben Altersgruppe. Laut dem Zweiten Teilhabebericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sind 20 % akut von Armut bedroht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen um den Wert von Arbeit für die eigene finanzielle Sicherheit, die Möglichkeit, eine eigene Existenz aufzubauen, und das eigene Selbstwertgefühl. Deswegen ist mir als Sozialdemokrat auch so wichtig, allen Menschen Zugang zu Arbeit zu verschaffen.

Viele Menschen mit Behinderung haben diesen Zugang eben nicht oder jedenfalls nicht so selbstverständlich wie der Rest unserer Bevölkerung. Für sie geht es nicht um die Frage, welcher Bildungsweg der richtige ist, sondern ob es überhaupt einen gibt, der auf den allgemeinen Arbeitsmarkt führt. Für sie stellt sich oft nicht die Frage, welche Qualifikation oder Erfahrung man erwerben sollte, sondern ob das für potenzielle Arbeitgeber überhaupt eine Rolle spielt. Diesen Zustand, meine Damen und Herren, können und dürfen wir nicht akzeptieren.

**(Beifall)**

Wir wissen, wie schwer es ist, Systeme mit ausgewogener und effektiver Unterstützung aufzubauen, und wir wissen erst recht, wie schwer es ist, Arbeitgeber dazu zu bringen, behinderten Menschen eine Chance zu geben. Wir können sie ja nicht einfach zwingen, behinderte Menschen einzustellen.

Wobei – na ja, genau das versuchen wir seit vielen Jahrzehnten mit dem § 154 SGB IX. Wenigstens 5 % der Belegschaft ab einer Betriebsgröße von 20 müssen behinderte Menschen sein. Und doch setzen 61 % aller Unternehmen dies nicht um. Sie zahlen stattdessen die Ausgleichsabgabe. Diese Zusatzabgabe soll Unternehmen auch finanziell motivieren, behinderte Menschen einzustellen, und gleichzeitig Gelder gewinnen, die für die notwendige Unterstützung behinderter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Verfügung stehen.

Richtigerweise hat der Bund mit der letzten größeren Änderung der Ausgleichsabgabeverordnung geregelt, dass diese Gelder nur genutzt werden dürfen, um Maßnahmen zum Erreichen des allgemeinen Arbeitsmarkts zu finanzieren. Gelder für Wohneinrichtungen oder Werkstätten können über diesen Sonderfonds also nicht mehr zur Verfügung gestellt werden.

Es ist zynisch, aber wir können uns alle freuen, dass diese überwiegend negativen Umstände zu einem prall gefüllten Ausgleichsabgabefonds führen. Deswegen beschließen wir heute unseren Antrag mit dem Titel „Arbeitsmarkt für alle: Ausgleichsabgabe besser nutzen“. In ihm haben wir konkrete Maßnahmen beschrieben, die ergriffen werden sollen, um Menschen mit Behinderungen bessere Möglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu geben.

Ich verzichte darauf, auf jede einzelne Maßnahme einzugehen. Sie waren ja auch inhaltlich im Ausschuss unumstritten. Ich will aber auf zwei strukturelle Probleme hinweisen und darauf, was wir dagegen unternehmen wollen:

Unsere personellen Ressourcen zur Bearbeitung von Anträgen betroffener Menschen und zur Konzeptionierung neuer Maßnahmen sind, wie in fast allen Bereichen der Landesverwaltung, begrenzt. Dabei braucht es diese dringend. Es ist doch absurd, dass einerseits Millionen im Ausgleichsfonds liegen, wir aber andererseits aus diesem nicht – auch nicht anteilig – Mittel für Verwaltungskräfte nehmen können, wo doch diese Verwaltungskräfte genau die Maßnahmen vorbereiten und bearbeiten, die mit den Mitteln der Ausgleichsabgabe an behinderte Menschen gebracht werden sollen.

Natürlich wollen wir auch Landesmittel eingesetzt wissen, um das Integrationsamt auskömmlich aufzustellen. Aber diese Landesmittel sind nun einmal begrenzt, und eine Reihe von Themen und Ressourcen kämpft um diese.

Wir schlagen daher vor, dass sich Niedersachsen im Bundesrat dafür einsetzt, dass zumindest ein niedriger Prozentwert der jährlichen Ausgleichsabgabe auch für die notwendigen personellen Ressourcen zur Abwicklung von Maßnahmen aus der Ausgleichsabgabe eingesetzt werden darf.

Ein zweites Problem: Mittel aus der Ausgleichsabgabe, die in den ersten beiden Jahren nicht genutzt werden, fließen in die Rücklage, an die wir nicht mehr herankommen. Einzig die Zinserträge sind für Maßnahmen für behinderte Menschen nutzbar, aber auch nur für den Themenbereich Arbeit.

Meine Damen und Herren, ich erhalte täglich Mails von Menschen mit Behinderung, die mir Probleme und Barrieren schildern. Für viele von ihnen ist eine Erwerbstätigkeit nicht die erste Priorität. Sie kämpfen um existenzielle Fragen, um Teilhabe, um Mobilität.

Unsere finanziellen Anstrengungen auf allen politischen Ebenen sind – das sage ich auch selbstkritisch – überschaubar, wenn es um den Abbau von praktischen Barrieren geht. Lassen Sie uns daher prüfen, ob wir nicht offensichtlich ungenutzte Mittel der Ausgleichsabgabe vor dem Zufluss zur Rücklage für andere Maßnahmen des Barrierenabbaus als im Arbeitsbereich nutzbar machen können!

Zinserträge für den Fonds zu erwirtschaften, ist ja ganz nett – aber doch nicht, wenn gleichzeitig behinderte Menschen immer noch um grundlegende Teilhabe in diesem Land kämpfen müssen.

Ich bin sehr froh, dass dieser Antrag nicht kontrovers diskutiert wurde, und werte die Enthaltung von CDU und AfD zu der Ausschussempfehlung einfach mal als heimliche Zustimmung.

Ich danke an dieser Stelle der Schwerbehindertenvertretung von Verdi, die an diesem Thema wirklich viel arbeitet; einige Vertreter sind auch heute hier. Ich bedanke mich gerade auch dafür, dass Gewerkschaften dieses Thema mehr und mehr aufnehmen.

Ich muss an dieser Stelle aber noch einmal auf ein Thema eingehen. Ich weiß gar nicht, ob Herr Uhlen da ist.

Er hat hier beim letzten Mal zu diesem Antrag geredet. Ein Zitat:

„Wir müssen anerkennen, dass es natürlich Sonderwelten gibt. Auch der allgemeine Arbeitsmarkt ist eine Sonderwelt.“

Dieses ulkige Zitat stammt aus der Rede des Kollegen Uhlen zur ersten Beratung dieses Antrags. Er sagte auch,

„dass sozusagen fast ein Werkstatt-Bashing einsetzt und wir suggerieren, dass es besser ist, Gärtner, Metaller oder meinetwegen auch Tischler im allgemeinen Arbeitsmarkt zu sein als in einer Werkstatt.“

Ja, liebe CDU und Herr Uhlen, natürlich! Natürlich ist es besser, diese Berufe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben als in einer Werkstatt. Und wissen Sie, wer das sagt? – Die größte Studie zum Werkstattsystem in Deutschland, genauer gesagt: der 2023 erschienene Abschlussbericht der „Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen“. In dieser wurden 300 Werkstätten untersucht und mehrere Tausend Werkstattbeschäftigte, ehemalige Beschäftigte und Werkstatträte befragt.

Eine Aussage dieser Studie lautet:

„Die Beschäftigten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zeigen sich zu einem deutlich größeren Teil mit der aktuellen Arbeitssituation zufrieden oder sehr zufrieden (92 %) als diejenigen, die inzwischen wieder in der WfbM – Werkstatt für behinderte Menschen – arbeiten (71 %). Die Zufriedenheit mit der Arbeit in der WfbM ist zudem bei Rückkehrern geringer als bei denen, die dort ununterbrochen beschäftigt waren.“

Und weiter:

„Zugleich bewerten zwei Drittel der befragten Werkstattbeschäftigten das eigene Entgelt als zu niedrig.“

Welche Überraschung!

Sie, Herr Uhlen, sagen, Werkstätten seien Teil des allgemeinen Arbeitsmarktes, und kritisieren uns, dass wir diese hier nicht gezielt adressiert haben. Abgesehen davon, dass wir das zu gegebener Zeit noch tun werden, ist diese Aussage faktisch falsch. Werkstätten sind Orte der Rehabilitation. Beschäftigte von Werkstätten sind keine Arbeitnehmer. Sie erhalten keinen Mindestlohn, und sie haben allgemeines Recht auf Teilzeit.

Trotzdem arbeiten sie den ganzen Tag. Wissen hier eigentlich alle, wie viel die rund 300.000 Beschäftigten in Werkstätten für ihre Arbeit als Lohn erhalten? Durchschnittlich 226 Euro.

Eine letzte Statistik – die Zeit rennt mir leider weg –: Sie haben gesagt, wir würden uns nur darum kümmern, die Menschen aus der Werkstatt raus auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu kriegen. Wissen Sie, wie hoch die Quote des Übergangs ist? Im Jahr 2015 waren es 294 Menschen, 2019 waren es 447 Menschen – in ganz Deutschland! Das ist eine Quote von 0,35 %, die es aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt geschafft haben.

Liebe CDU, wem wollen Sie denn das Märchen erzählen, dass wir uns nur um die Menschen kümmern würden, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind? Sie müssen endlich erkennen, dass wir aufhören müssen mit Segregation und Ausgrenzung. Arbeit muss sich lohnen, und zwar für alle Menschen, egal wo sie arbeiten.

Herzlichen Dank.

Meine Rede zum Antrag "Rassismus geschlossen entgegentreten"

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eine schöne Rede vorbereitet. Die werde ich gleich auch noch halten.

Aber zunächst: Frau Machulla, Sie haben eben gerade in Ihrer Kurzintervention gefragt, ob wir im Zirkus sind. Ehrlicherweise: Sie haben hier wirklich ein Zirkuskunststück hingelegt. Es beim Thema Rassismus zu schaffen, dass die AfD Ihnen durchgehend Applaus spenden kann, das ist ein wahres Kunststück, und das hätte ich hier nicht für möglich gehalten.

Ehrlicherweise: Auch inhaltlich habe ich Sie überhaupt nicht verstanden. Denn Sie verwechseln hier zwei Dinge. Wir reden hier über die Frage, wie wir Rassismus in unserer Gesellschaft zurückdrängen können. Was Sie aber machen, ist, politischen Extremismus zu besprechen. Dann müssen Sie mir aber mal ein Beispiel von Linksextremismus geben, der sich rassistisch äußert. Da mag es vielleicht hin und wieder Beispiele geben, das mag sein. Mir selbst ist keins bekannt. Aber Sie können uns ja dann im Ausschuss belehren. Ich glaube nur, strukturell kommt die Gefahr von Rassismus tatsächlich eher aus dem rechten als aus dem linken Spektrum.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünschte, ich könnte voraussetzen, dass wir uns alle hier sowohl in der Tat als auch im gesprochenen Wort gegen Rassismus und die Bildung von Vorurteilen einsetzen. Mit Blick auf dies nun ausgehende Juni-Plenum bin ich mir aber gerade bei Letzterem nicht so sicher – gar nicht mal so sehr auf diese Debatte bezogen, sondern auf die in den vergangenen Tagen.

Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, Frieden ist es nicht, und eine Gesellschaft ohne Vorurteile auch nicht. Wir müssen uns kollektiv immer wieder gegen Rassismus zur Wehr setzen.

Dabei werden die Herausforderungen in diesem Bereich immer größer – einerseits aufgrund der vielfach beschriebenen und von einigen Menschen und Gruppen schändlich missbrauchten Umstände unserer modernen Gesellschaft und der Medienlandschaft im Besonderen. Auf die ganzen Mechanismen möchte ich gar nicht eingehen. Das haben wir auch schon oft genug debattiert.

Aber andererseits gibt es noch einen weiteren Grund, der paradoxerweise positiv ist. Unsere Gesellschaft wird nämlich immer vielfältiger. Mit jedem Vordringen von Menschen mit Migrationshintergrund, Personen der queeren Community, behinderten Menschen, anderen Minderheiten und sogar Frauen in Bereiche unserer Gesellschaft, in denen sie bisher eben nicht vertreten waren, fallen institutionelle und strukturelle Barrieren, Diskriminierungen und Machtgefälle, Gewalt und eben auch Rassismus auf. Es darf uns deshalb nicht überraschen, wenn Betroffene von immer neuen Erfahrungen von Rassismus und Diskriminierung berichten können.

Ich bin meiner Kollegin Diallo-Hartmann überaus dankbar, dass sie das in ihren persönlichen Ausführungen und Beispielen hier sehr plastisch dargestellt hat.

Dass uns rassistisches Verhalten auffällt, ist gut, muss aber stets erlernt werden. Ich möchte dem eine kleine persönliche Beobachtung hinzufügen; denn ich glaube, das betrifft uns alle: Von meinen sieben Assistenten zur pflegerischen alltäglichen Begleitung haben fünf einen Migrationshintergrund. Immer wieder kommt es vor, dass sie mich fragen, ob unser Gegenüber in einem Gespräch eine Bemerkung gerade nur deshalb gemacht hätte, weil sie – also meine Assistenten – nicht ursprünglich aus Deutschland kämen. Ich runzele dann die Stirn, weil ich beim Zuhören gar nicht auf diese Idee gekommen wäre, und ertappe mich beim zweiten Gedanken über das Gesagte leider gelegentlich dabei, diese Frage nicht mehr klar verneinen zu können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Vorurteile und auch schlichter Rassismus kommen überall vor. Deswegen müssen wir diesen – als Querschnittsaufgabe – auch überall begegnen.

Frau Machulla, es wurde Ihnen eben ja schon gesagt: In Niedersachsen haben wir deshalb bereits im Jahr 2016 unter Rot-Grün das Landesprogramm gegen Rechtsextremismus eingerichtet. Im Jahr 2020 hat dann Rot-Schwarz das Landesprogramm erweitert zum Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte. Die darin engagierte Zivilgesellschaft bildet den eben bereits von meiner Vorrednerin erwähnten Praxisbeirat. Er soll fachliche Empfehlungen erarbeiten. Aus ihm entstand das Konzept für einen ressortübergreifenden Aktionsplan.

Das damalige Justizministerium unter Frau Havliza als federführendes Haus wollte oder konnte nicht für die nötigen Mittel kämpfen oder setzte jedenfalls auch aufgrund von Corona andere Prioritäten. Die damalige rot-schwarze Landesregierung setzte stattdessen das Bündnis „Niedersachsen hält zusammen“ ein, welches – wenn auch nur in kleinen Teilen – Maßnahmen aus dem damaligen Konzept des Praxisbeirats übernahm.

Ich will diese Genese des Programms gar nicht als Wertung verstanden wissen, aber auf den Umstand hinweisen, dass sich Notwendigkeiten und Nuancen in der politischen Schwerpunktsetzung im Zeitverlauf, aber ehrlicherweise auch in Abhängigkeit von Mehrheiten im Parlament verändern.

Unser Antrag ist auch ein überfälliges Signal an die vielen engagierten Menschen – einige von ihnen sitzen ja gerade hier – im Landespräventionsrat und im Praxisbeirat, die quasi auf Bitten verschiedener Ministerien und politischer Entscheidungsträger*innen Konzepte erarbeitet haben, dies weiterhin tun, aber bisher vergeblich auf deren Umsetzung warten mussten. Als SPD und Bündnis 90/Die Grünen erkennen wir diese wichtige fachliche Arbeit an und werden mit diesem Antrag die Umsetzung forcieren.

Wir wollen ein ressortübergreifendes Vorgehen und haben dazu in unserem Antrag Baustellen genannt und Beispiele, wie das gelingen kann: von rechtlicher Weiterentwicklung und Bildungsarbeit über die Übertragung von guten Erfahrungen aus anderen Bundesländern bis hin zur wissenschaftlichen Evaluation von Maßnahmen.

Liebe CDU, die Einladung ist ausgesprochen, und sie bleibt bestehen: Arbeiten Sie inhaltlich im Ausschuss daran mit!

Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte noch auf einen Aspekt eingehen. Ich halte es persönlich für falsch – und da beziehe ich auch unsere eigenen Texte und Reden mit ein –, wenn wir oft erst den Nutzen von Vielfalt und Diversität für unser eigenes Leben und unsere Gesellschaft beschreiben, um dann – fast schon im Sinne einer Rechtfertigung – zu erklären, warum wir uns gegen Rassismus einsetzen sollten.

Es sollte völlig klar sein, dass der Kampf gegen Rassismus an sich bereits ein erstrebenswertes Ziel ist und wir als aufgeklärte und den Menschenrechten verpflichtete Staatsbürger ihn auch unseren Mitmenschen schuldig sind.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, Süleyman Taşköprü war ein Gemüsehändler aus Hamburg. Er wurde am 27. Juni 2001 vom NSU ermordet. Polizei und Staatsanwaltschaft vermuteten damals ohne Grundlage Verbindungen zur organisierten Kriminalität. In den Fallakten wird man später lesen, dass Behörden ihn als Schmarotzer bezeichneten.

Am 19. Februar 2020 wurden in meiner Geburtsstadt Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordet. Das SEK, welches in der Tatnacht aktiv war, wird später aufgelöst. 13 der 19 Mitglieder kommunizierten in rechtsextremen Chatgruppen. Der Vater des Täters kann weiterhin fast unbehelligt Verschwörungstheorien und Täter-Opfer-Umkehr zum Anschlag verbreiten.

Beides sind Beispiele von institutionellem Rassismus.

Am 1. Juli 2019 wird in Istha bei Kassel Walter Lübcke ermordet. Der Täter ist ein Mann, der sich jahrzehntelang rassistisch äußerte, so handelte und entsprechende Medien konsumierte. Walter Lübcke hatte Haltung gegen Fremdenfeindlichkeit gezeigt.

Vergessen wir nicht, dass Rassismus eine Gefahr für jeden Einzelnen von uns darstellt, persönlich wie auch gesellschaftlich. Das ist die einzig gültige Rechtfertigung für den Kampf gegen Rassismus, wenn es überhaupt je eine gebraucht hat.

Lassen Sie uns deshalb im Ausschuss und auch hier – im Übrigen unabhängig von konkreten Anträgen – debattieren, wie wir Vorurteile bekämpfen und Rassismus aus unserer Gesellschaft vertreiben können.

Vielen Dank.

Meine Rede zum Pilotprojekt "Psychosoziale Prozessbegleitung"

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Wir hatten heute bereits eine interessante Plenarsitzung mit Themen wie Cannabis und anderen Aspekten. Doch nun am Abend kommen wir zu einem tatsächlich sehr ernsten Thema.

Wenn wir uns anschauen, über welche Kriminalitätsfälle wir sonst in diesem Parlament sprechen, könnte man meinen, dass die Hauptkriminalität in unserem Land durch Messerangriffe oder andere schwerwiegende Taten geprägt ist. Das mag auch tatsächlich der Fall sein. Doch der größte Bereich der Kriminalität, der Gewalt, geschieht in den eigenen vier Wänden – also an dem Ort, der eigentlich am sichersten sein sollte. Hier müssen wir uns als Parlament, als Abgeordnete und auch als Öffentlichkeit sowie Medien überlegen, wie wir mit diesem Thema umgehen. Oft rücken andere Themen in den Vordergrund, während häusliche Gewalt zu wenig Beachtung findet. Deshalb ist es richtig, dass wir uns heute diesem wichtigen Thema widmen.

Denn die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt ist tatsächlich erschreckend hoch. Allein im Jahr 2023 gab es in Niedersachsen 30.000 gemeldete Fälle, was eine Steigerung von 10 % darstellt. Ein großer Teil davon bestand nicht etwa, wie man vermuten könnte, aus Beleidigungen oder Nachstellungen – auch das wäre schon schlimm genug –, sondern 60 % dieser Fälle waren Körperverletzungen. Es handelt sich also um schwerwiegende Verbrechen und Situationen, die sich viele von uns kaum vorstellen können.

Und ehrlich gesagt ist das noch nicht das ganze Ausmaß, denn die Dunkelziffer ist weitaus höher. Denn wer zeigt eine solche Tat an, wenn sie in den eigenen vier Wänden passiert und womöglich vom eigenen Partner oder der eigenen Partnerin begangen wurde? Die Angst und die Scham sind groß. Deshalb möchten wir von dieser Stelle aus allen, die zuhören, zurufen: Bitte bringen Sie solche Taten zur Anzeige! Wir als Rechtsstaat und Parlament wollen über diese Taten informiert werden und die Täter zur Rechenschaft ziehen. Helfen Sie uns dabei – auch wenn es nicht Ihre Aufgabe sein sollte –, indem Sie die Taten melden.

Was genau ist häusliche Gewalt? Häusliche Gewalt umfasst ein weites Spektrum. Es beginnt oft schon mit psychischem Druck und der Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen. Jeder von uns im Parlament kennt wahrscheinlich jemanden, der häuslicher Gewalt ausgesetzt ist. Daher ist es so wichtig, dass wir uns mit der Frage beschäftigen, wie wir den Betroffenen helfen können.

Hauptsächlich sind Frauen betroffen, aber auch die Zahl der Männer, die häusliche Gewalt erfahren, ist in den letzten Jahren signifikant gestiegen. Auch andere Familienangehörige wie Kinder, Großeltern oder Pflegende sind oft Opfer häuslicher Gewalt. Wir müssen sie alle im Blick haben.

In Niedersachsen gibt es bereits Präventions- und Interventionsstellen. Das sind gute und wichtige Werkzeuge. Es gibt zudem Gewaltschutzverfahren, die ebenfalls hilfreich sind. Nicht jeder Betroffene kennt diese Möglichkeit. Ein Gewaltschutzverfahren ermöglicht es, gerichtlich Maßnahmen gegen jemanden anzuordnen, der einen verletzt hat – zum Beispiel den Verweis aus der gemeinsamen Wohnung, ein Betretungs- oder Kontaktverbot, auch im digitalen Raum, wo vermehrt Verletzungen durch ständige Belästigung oder digitales Nachstellen vorkommen.

Allerdings können solche Verfahren auch belastend sein, da der Antragsgegner das Recht hat, sich zu äußern. Oft müssen vor Gericht intime Details offenbart werden, was besonders schwierig ist, wenn es sich um den eigenen Partner oder andere nahe Familienangehörige handelt, mit denen man weiterhin in Kontakt bleiben muss.

An dieser Stelle setzt unser rot-grüner Antrag an. Wir haben in der Justiz bereits ein hervorragendes Werkzeug, die psychosoziale Prozessbegleitung, die seit 2013 in Niedersachsen bekannt ist und seit 2017 bundesweit verankert wurde. Sie hilft Menschen, die in belastenden Gerichtssituationen Unterstützung brauchen. Bisher ist sie jedoch auf Strafrechtsverfahren beschränkt. Wir wollen diese Begleitung auf Gewaltschutzverfahren ausweiten.

Was fordern wir konkret? Wir möchten ein Konzept für ein Modellprojekt entwickeln, das wir anschließend evaluieren und mithilfe einer Projektgruppe umsetzen wollen. Unser Ziel ist es, die psychosoziale Prozessbegleitung landesweit auszurollen und zu prüfen, wo sie noch weiter eingesetzt werden kann.

Mein Appell an uns alle: Haben Sie ein offenes Auge für häusliche Gewalt und informieren Sie Betroffene über die bestehenden Hilfsangebote. An die Opfer gerichtet: Bringen Sie diese Taten zur Anzeige, damit wir Ihnen die Hilfe geben können, die Sie benötigen.

Vielen herzlichen Dank.

Meine Rede zur Änderung des Justizgesetzes

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das ist ein sehr übersichtlicher Gesetzentwurf. Von daher werde ich es kurz halten. Die Frau Kollegin Machulla hat dankenswerterweise eigentlich alles Wesentliche bereits vorgetragen.

Es handelt sich übrigens schon um die zweite Änderung des Niedersächsischen Justizgesetzes in dieser noch jungen Wahlperiode. Insofern ist das eigentlich sehr simpel.

Bevor ich auf zwei oder drei Punkte trotzdem eingehe, möchte ich die stetigen Enthaltungen der AfD-Fraktion thematisieren, die – solange es sich nicht um Anträge zu Strafdelikten, ausländerrechtlichen Fragestellungen oder anderen emotional verwertbaren Themen handelt – sich leider nicht positionieren kann oder will und in diesem Ausschuss meistens mit Enthaltungen glänzt.

Ich finde es schwierig und auch bedauerlich, dass die AfD nicht in der Lage ist, sich hier zu positionieren. Ich glaube, dass es unsere Pflicht als Volksvertreter ist, sich auch dann zu positionieren, wenn es um vermeintlich unbequeme Themen – wie hier um die Anpassung von Gebühren, insbesondere um Gebührenerhöhungen – geht.

Aber, liebe AfD-Fraktion, Sie haben ja hier gleich noch die Chance, zuzustimmen oder abzulehnen. Jedenfalls wäre es gut, wenn Sie sich positionieren.

Zurück zum Inhaltlichen: Das Justizministerium hat bereits im Vorfeld 21 Stellen die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Lediglich die Notarkammer Oldenburg hat dankenswerterweise einen kleinen inhaltlichen Hinweis gegeben. Es gab einen kleinen technischen Mangel im Gesetz. Diesen Hinweis haben wir aufgenommen. Dies zeigt im Übrigen auch, dass unser Gesetzgebungsprozess funktioniert. Wir hören zu, wir reagieren, und wir verbessern.

Frau Machulla, wenn sich nur eine Organisation zurückmeldet, ist das nicht unbedingt „bedauerlich“. Es kann auch bedeuten, dass der Gesetzentwurf einfach sehr gut ist. Das will ich zumindest nicht ausschließen.

Apropos „zuhören“: Dass wir dieses Gesetz überhaupt in dieser Art und Weise anpassen und die Gebühren erhöhen, geht auf die Empfehlung des Landesrechnungshofes zurück. Ich darf an dieser Stelle wohl sagen, dass wir als Parlament und als regierungstragende Fraktionen nicht immer einer Meinung mit dem Landesrechnungshof sind. Umso schöner ist es, wenn wir solche Hinweise zügig im Gesetzgebungsverfahren übernehmen.

Die Tatsache, dass einige Gebühren seit dem Jahr 1985 nicht mehr angepasst wurden, ist ein klarer Indikator dafür, dass Handlungsbedarf besteht. Die vorgeschlagene Erhöhung der Gebührensätze ist angesichts der Einkommensentwicklung sinnvoll und maßvoll. Wir bewegen uns hier in einem Rahmen, wie er auch in anderen Bundesländern üblich ist, und stellen damit sicher, dass die Gebührenstruktur zeitgemäß und rechtens ist.

Die erwarteten zusätzlichen Einnahmen – hier muss ich die Haushälter leider enttäuschen – liegen allerdings nur bei 50 000 Euro. Insofern geht es nicht darum, die Staatskasse zu füllen. Es geht um einen Beitrag dazu, unsere Justiz handlungsfähig zu halten und die Qualität der Dienstleistung für die Bürgerinnen und Bürger zu sichern.

Meine Damen und Herren, noch ein letzter Satz: Hier ist heute mehrmals Bezug auf bestimmte Dinge genommen worden – eben gerade auf „Hochwasserdemenz“. Vorhin hat die AfD den Hinweis auf Menschen mit geistiger Behinderung dazu genutzt, um vermeintlich darauf hinzuweisen, dass Wählerinnen und Wähler nicht so klug handeln. Ich finde es sehr schwierig, dass wir Erkrankungen, Menschen mit Behinderungen und andere Dinge hier benutzen, um uns gegenseitig vorzuwerfen, keine gute Politik zu machen. Das halte ich für falsch.

Vielen Dank.

Meine Rede zum Ausbau der Projektmanufaktur zur Förderung der Kommunen

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in schwierigen, krisengebeutelten Zeiten. Das merken Sie, das merke ich, das merken wir alle. Und es stimmt: Die vergangenen und andauernden Krisen stellen nicht nur unsere Gesellschaft, sondern auch unseren Staat insgesamt vor enorme Herausforderungen. Das gilt auch und besonders für unsere Kommunen. Denn sie sind es letztlich, die staatlicherseits die Auswirkungen direkt und unmittelbar bewältigen.

Ohnehin sind auch die Kommunen mit neuen Krisen stark beansprucht. Neben zusätzlichen Aufgabenstellungen, die in den letzten Jahren für sie hinzugekommen sind, bereiten auch hier gesellschaftliche Veränderungen wie der Wechsel hin zu einem Arbeitnehmerarbeitsmarkt und der demografische Umbruch Sorge.

Zugleich fehlt es den Kommunen an vielerlei, auch an finanziellen Mitteln. Die Akquise von Fördermitteln stellt oftmals die einzige echte Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeit dar. Vielen Kommunen ist es mittlerweile aber durch Personalmangel und/oder einen zu engen finanziellen Handlungsspielraum kaum noch möglich, das nötige Wissen und Know-how für erfolgreiche Förderanträge, deren Abwicklung und Umsetzung selbst vorzuhalten oder eben einzukaufen. Eine Negativspirale für diese Kommunen entsteht. Und nicht nur das: Unsere Kommunen dividieren sich damit zunehmend auseinander.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht unsere Vorstellung eines für die Zukunft gut aufgestellten und liebenswerten Niedersachsens. Und ich bin mir sicher: Das ist auch nicht Ihre.

Auch in meinem Landkreis hört just in diesen Tagen der langjährige Wirtschaftsförderer auf. Sein Wissen über die Genese vieler regionaler Strukturen und sein über Jahre aufgebautes Netzwerk – weit über die Grenzen der nationalen Förderkulissen hinaus – werden mir in meiner kommunalpolitischen Arbeit und dem gesamten Landkreis bitter fehlen. Wir konnten einen Nachfolger für diese wichtige Aufgabe finden. Aber gerade kleinen Kommunen ergeht es da oft anders. Sie finden heute oft keine geeigneten Nachfolgerinnen oder Nachfolger für entsprechende Stellen oder sind auf, na ja, mal mehr, mal weniger gute, dafür aber teure externe Berater und Agenturen angewiesen.

Niedersachsen ist ein facettenreiches Land. Das ist gut so. Dennoch ist es uns wichtig, dass man hier überall gleich und gut leben können muss. Förderprogramme haben deshalb auch das Ziel, ökonomisch und/oder strukturell weniger starke Regionen beim Aufholen zu unterstützen. Deshalb darf es doch nicht sein, dass der Zugang und die Teilhabe an diesen Förderprogrammen an eben jener Strukturschwäche oder dem Mangel an finanziellen wie personellen Möglichkeiten in den Kommunen scheitern, die ja vorgeben, gerade diese abbauen zu wollen.

Was also können wir tun, um unseren Kommunen die gleichen Chancen zum Zugang und zur Teilhabe an Förderprogrammen zu ermöglichen? – Lösungsansätze für die skizzierten Probleme können etwa breiter gefasste Förderrichtlinien sein, niedrigschwellige Nachweisverfahren und großzügige Fristen sowie vor allem die Ausweitung von Spielräumen für die Entscheider, die dazu möglichst nah an den Kommunen sein müssen, so wie es beispielsweise bei den Ämtern für regionale Landesentwicklung der Fall ist. Und nebenbei gesagt: Gerade die Förderprogramme des MB sind in Kooperation mit und sehr nah an den Kommunen gestrickt.

Die Projektmanufaktur ist genau eine solche Lösung. Denn es bedarf einer umfänglichen Beratung – vom Aufzeigen übertragbarer Ideen, der Zusammenstellung kombinierbarer Fördermöglichkeiten, inklusive privater Projektträger wie beispielsweise Stiftungen, über die Antragstellung bis zur Dokumentation und Umsetzung. All das soll die vom Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund und vom Niedersächsischen Städtetag gemeinsam mit ideeller und finanzieller Unterstützung des MB gegründete Projektmanufaktur abbilden. Sie ist letzte Woche mit zwei Förderlotsen pilothaft für den Bereich des ArL Leine-Weser gestartet.

Als SPD-Fraktion haben wir uns bereits in der vergangenen Legislaturperiode für die Umsetzung dieser Idee eingesetzt und entsprechende Mittel bereitgestellt. Ich bin mir sicher, dass viele Akteure in unseren Rats- und Kreishäusern ein solches Angebot seit Langem ersehnt haben.

Ich bin der Landesregierung und Ministerin Osigus sehr dankbar, dieses gerade für kleine Kommunen so wichtige Anliegen so zügig am Anfang der Legislaturperiode so zügig umgesetzt zu haben. Dies unterstreicht einmal mehr, dass das MB das Ministerium für die Erprobung innovativer Ideen bei der regionalen Entwicklung ist.

Wie wichtig und gut die Umsetzung der Projektmanufaktur ist, zeigen die hohen Erwartungen, die von allen Seiten an sie herangetragen werden. Als SPD-Fraktion werden wir aufmerksam beobachten, ob und wie diese Erwartungen erfüllt werden können, damit aus der Erprobung hoffentlich bald eine flächendeckende und auskömmliche Beratung wird.

Ich wünsche den beiden Förderlotsen einen guten Start und freue mich schon heute auf hoffentlich viele umgesetzte Projekte.

Vielen Dank.