Rassismus ist eine Bedrohung für Menschen, unsere Demokratie und damit für jeden Einzelnen von uns. Heute haben wir im Landtag einen Entschließungsantrag zur Aufstellung eines ressortübergreifenden Aktionsplanes gegen Rassismus gestellt. Die Vielfalt in unserer Gesellschaft nimmt zu und mit dem Vordringen von Menschen mit Migrationshintergrund, der queeren Community, behinderten Menschen und anderen Minderheiten in alle Teile der Gesellschaft, werden diskriminierende Strukturen und besonders Rassismus immer weiter aufgedeckt. Das Erkennen dieser Strukturen und Handeln dagegen muss kollektiv erfolgen. Jeder von uns hat dazu seinen Teil beizutragen, weil wir es als aufgeklärte und dem Menschenrecht verpflichteten Staatsbürgern einander schulden. Lasst uns gemeinsam den Dialog fördern, Sensibilisierung vorantreiben und gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit kämpfen und gute Beispiele aus anderen Ländern kopieren. Denn nur in einer inklusiven Gesellschaft können alle Menschen gleichberechtigt und friedlich zusammenleben.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,

ich hatte ich hier eine schöne Rede vorbereitet. Die werde ich auch gleich noch halten. Aber Frau Machulla, Sie haben ja gerade in ihrer Antwort auf die Kurzintervention gefragt, ob wir im Zirkus sind und um ehrlich zu sein: Sie haben hier ein Zirkuskunststück vollführt. Es beim Thema Rassismus zu schaffen, dass durchgehend die AfD Ihnen Applaus spenden kann, das ist ein wahres Kunststück und hätte ich nicht für möglich gehalten.

Ehrlicherweise habe ich Sie auch inhaltlich überhaupt nicht verstanden. Denn Sie verwechseln ja zwei Dinge: Wir reden ja hier über die Frage, wie wir Rassismus in unserer Gesellschaft zurückdrängen können. Was Sie aber machen, ist politischen Extremismus zu besprechen. Dann müssen Sie mir mal ein Beispiel von Linksextremismus zeigen, der sich rassistisch äußert. Da mag es – auch wenn mir keiner bekannt ist – Einzelbeispiele geben. Ich glaube aber strukturell ist die Gefahr von Rassismus eher aus dem rechten Spektrum als aus dem Linken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünschte, ich könnte voraussetzen, dass wir uns alle hier sowohl in der Tat, als auch im gesprochenen Wort gegen Rassismus und die Bildung von Vorurteilen einsetzten. Mit Blick auf dieses nun ausgehende Juni-Plenum bin ich mir aber gerade bei Letzterem nicht so sicher; gar nicht mal so sehr auf diese Debatte bezogen, sondern auch auf die der vergangenen Tage.

Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Frieden ist es nicht. Und eine Gesellschaft ohne Vorurteile auch nicht. Wir müssen uns kollektiv immer wieder gegen Rassismus zur Wehr setzen.

Dabei werden die Herausforderungen in diesem Bereich größer. Einerseits aufgrund der vielfach beschriebenen und von einigen Menschen und Gruppierungen schändlich missbrauchten Umstände unserer modernen Gesellschaft und der Medienlandschaft im Besonderen. Auf die ganzen Mechanismen möchte ich gar nicht eingehen, das haben wir hier schon oft genug debattiert.

Denn gleichzeitig gibt es noch einen weiteren Grund, der paradoxerweise äußerst positiv ist: Unsere Gesellschaft wird nämlich immer vielfältiger. Mit jedem Vordringen von Menschen mit Migrationshintergrund, Personen der queeren Community, behinderten Menschen, anderen Minderheiten und sogar Frauen in Bereiche unserer Gesellschaft, in der sie bisher eben nicht waren, fallen institutionelle und strukturelle Barrieren, Diskriminierungen, Machtgefälle und Gewalt mehr auf.

Es darf uns deshalb nicht überraschen, wenn Betroffene von immer neuen Erfahrungen von Rassismus und Diskriminierung berichten können und ich bin meiner Kollegin Djenabou Diallo Hartmann für ihre ganz persönlichen Ausführungen und Beispiele hier dankbar.

Dass uns rassistisches Verhalten auffällt, ist gut, muss aber stets erlernt werden.

Ich möchte dem eine kleine persönliche Beobachtung hinzufügen, weil ich glaube, es betrifft uns alle. Von meinen 7 Assistenten zur pflegerischen und alltäglichen Begleitung haben 5 einen Migrationshintergrund. Immer wieder kommt es vor, dass sie mich fragen, ob unser Gegenüber in einem Gespräch eine Bemerkung gerade nur deshalb gemacht hätte, weil sie – also meine Assistenten – nicht ursprünglich aus Deutschland kämen. Ich runzel dann die Stirn, weil ich beim Zuhören gar nicht auf die Idee gekommen wäre. Und ich ertappe mich leider gelegentlich dabei, beim zweiten Gedanken über das Gesagte die Frage nicht mehr klar verneinen zu können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Vorurteile und auch schlichter Rassismus kommen überall vor. Deswegen müssen wir diesem auch als Querschnittsaufgaben überall begegnen. In Niedersachsen haben wir deshalb bereits im Jahr 2016 unter Rot-Grün das „Landesprogramm gegen Rechtsextremismus“ eingerichtet. Im Jahr 2020 hat dann Rot-Schwarz das Landesprogramm erweitert zum “ Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte“.

Die darin engagierte Zivilgesellschaft bildet den eben bereits von meinen Vorrednerinnen erwähnten Praxisbeirat. Er soll fachliche Empfehlungen erarbeiten. Aus ihm entstand das Konzept für einen ressortübergreifenden Aktionsplan. Das damalige Justizministerium unter Frau Hawlitza als federführendes Haus wollte oder konnte nicht für die nötigen Mittel kämpfen oder setzte jedenfalls - auch aufgrund von Corona - andere Prioritäten. Die damalige rot-schwarze Landesregierung setzte stattdessen das Bündnis „Niedersachsen hält zusammen“ ein, welches – wenn auch nur in kleinen Teilen – Maßnahmen aus dem damaligen Konzept des Praxisbeirats übernahm. Ich will diese Genese gar nicht als Wertung verstanden wissen, aber auf den Umstand hinweisen, dass sich Notwendigkeiten und Nuancen in der politischen Schwerpunktsetzung im Zeitverlauf, aber auch in Abhängigkeit zu Mehrheiten im Parlament verändern.

Unser Antrag ist auch ein überfälliges Signal an die vielen engagierten Menschen im Landespräventionsrat und dem Praxisbeirat, die quasi auf Bitten verschiedener Ministerien und politischen Entscheidungsträger_innen Konzepte erarbeitet haben und dies noch weiter tun. Und dann doch bisher vergeblich auf deren Umsetzung warten. Als SPD und Bündnis 90/Die Grünen erkennen wir diese wichtige und fachlich bereichernde Arbeit an und werden mit diesem Antrag die Umsetzung forcieren. Wir wollen ein ressortübergreifendes Vorgehen und haben dazu in unserem Antrag Baustellen und Beispiele benannt: von rechtlicher Weiterentwicklung, Bildungsarbeit, Übertragung von guten Erfahrungen aus anderen Bundesländern und auch die wissenschaftliche Evaluation von Maßnahmen.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte noch auf einen Aspekt eingehen. Ich halte es für persönlich falsch – und da nehme ich auch unsere eigenen Texte und Reden mit ein –, wenn wir unverständlicherweise oft erst den Nutzen von Vielfalt und Diversität für unser eigenes Leben und unsere Gesellschaft beschreiben, um dann, fast schon im Sinne einer Rechtfertigung, zu erklären, warum wir uns gegen Rassismus einsetzen sollten. Es sollte völlig klar sein, dass der Kampf gegen Rassismus an sich bereits ein erstrebenswertes Ziel darstellt und wir als aufgeklärte und den Menschenrechten verpflichteten Staatsbürgern es unseren Mitmenschen auch schuldig sind.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Süleyman Taşköprü, Gemüsehändler aus Hamburg, wurde am 27. Juni 2001 vom NSU ermordet. Polizei und Staatsanwaltschaft vermuteten damals ohne Grundlage Verbindungen zur organisierten Kriminalität; in den Fallakten wird man später lesen, dass die Behörden ihn als Schmarotzer bezeichneten. Am 19.02.2020 wurden in meiner Geburtsstadt Hanau 9 Menschen mit Migrationshintergrund ermordet. Das SEK, welches in der Tatnacht aktiv war, wird später aufgelöst. 13 der 19 Mitglieder kommunizierten in rechtsextremen Chatgruppen. Der Vater des Täters kann weiterhin fast unbehelligt Verschwörungstheorien und Täter-Opfer-Umkehr zum Anschlag verbreiten. Beides sind extreme Beispiele von institutionellem Rassismus.

Am 01.07.2019 wird in Istha bei Kassel Walter Lübcke ermordet. Der Täter ist ein Mann, der sich jahrzehntelang rassistisch äußerte, handelte und entsprechende Medien konsumierte. Walter Lübcke hatte Haltung gegen Fremdenfeindlichkeit gezeigt. Vergessen wir nicht, dass Rassismus eine Gefahr für jeden Einzelnen von uns darstellt – persönlich wie auch gesellschaftlich. DAS ist die einzige gültige Rechtfertigung für den Kampf gegen Rassismus, wenn es überhaupt je einen gebraucht hat.

Lassen Sie uns deshalb im Ausschuss und auch hier – im Übrigen unabhängig von konkreten Anträgen – debattieren, wie wir Vorurteile bekämpfen und Rassismus aus unserer Gesellschaft vertreiben können.

Vielen Dank